Nicht mal Ghadhafi hat seinen mehrfach geäusserten Drohungen, Europa mit Migranten aus Afrika zu „überschwemmen“, Taten folgen lassen. Diese Hemmschwelle hat Erdogan nun überschritten: Er setzt für seine zynische Aussenpolitik Migranten und Flüchtlinge als Druckmittel ein und verursacht damit eine weitere humanitäre Notlage an der türkisch-griechischen Grenze. – Europa hat sich ohne Zweifel in die Hände eines Erpressers begeben, und das Beispiel könnte Schule machen, etwa im Maghreb oder in Ägypten – mit schwerwiegenden Folgen. Trotzdem wird es kaum eine Alternative geben, als weiterhin mit Erdogan zu verhandeln. – Die in der österreichischen Presse (presse.at) formulierte Haltung scheint mir zurzeit der einzige gangbare Weg aus dem ungeheuren Dilemma zwischen Realpolitik und humanitären Prinzipien: „Europa tut gut daran, weithin sichtbar zu demonstrieren, dass es seine Grenzen selbst bewachen kann und sich nicht erpressen lässt. Doch es wäre schäbig, wenn der reiche Kontinent die Augen verschlösse vor dem Elend in seiner Nachbarschaft. Es bleibt ein Gebot der Humanität, Menschen in Not zu helfen, zumindest aus der Ferne.
Die Türkei beherbergt 3,7 Millionen Flüchtlinge aus Syrien, viel mehr als Europa. Das verdient Anerkennung und Unterstützung. Aus Idlib, der letzten Hochburg der Gegner des syrischen Diktators, könnten bald weitere Hunderttausende Flüchtlinge in die Türkei drängen. Das Land am Bosporus ist längst am Ende seiner Kapazität angelangt.
Auch deshalb sendet Erdogan nun sein eiskaltes Signal. Europa sollte auf zweierlei Weise antworten: unnachgiebig an der Grenze – und großzügig gegenüber syrischen Flüchtlingen in der Türkei, die nichts können für Erdogans widerwärtige Kriseninszenierung.“