Sarazenen

In Amalfi zeigen sich wie unter dem Brennglas die komplizierten Beziehungen zwischen dem islamischen Süden und Osten und dem grösstenteils christlichen Norden und Westen des Mittelmeerraums. Denn die ehemals mächtige Seerepublik, vor rund tausend Jahren gegründet, verdankt ihrem Reichtum in erster Linie dem Handel mit dem Orient. Gleichzeitig fand auch ein reger kultureller Austausch statt, der bis heute sichtbare Spuren hinterlassen hat: die byzantinisch und arabisch geprägte Architektur, die terrassierten Zitronenhaine, die verwinkelten und labyrinthischen Siedlungen. Arabische Chronisten des Mittelalters beschrieben Amalfi als prächtigste Stadt Süditaliens mit mehr als 50’000 Einwohnern.Doch Amalfi und ganz Süditalien war auch jahrehundertelang den Angriffen der als «Sarazenen» bezeichneten arabisch-berberischen Krieger aus Nordafrika und Sizilien ausgesetzt. Diese hatten etwa in Kalabrien drei «Emirate» gegründet und Bari erobert. Vom Kampf gegen die fremden Invasoren zeugen unzählige «Sarazenentürme» an der Costa Amalfitana und in ganz Süditalien. Dass die muslimischen Krieger im Jahr 846 gar versuchten hatten, Rom zu erobern, war mir bis vor kurzem nicht bekannt; laut zeitgenössischen Quellen hinterliessen sie eine Spur der Verwüstung. Amalfi und andere Seerepubliken gelang es drei Jahre später, die Sarazenen bei Ostia vernichtend zu schlagen.Die stolze Seerepublik Amalfi wurde im Hochmittelalter durch Genua und Pisa an den Rand gedrängt und durch ein Seebeben teilweise zerstört. Heute ist es ein Städtchen mit kaum mehr als 5000 Einwohnern. Seine internationale Rolle als Seemacht konnte es aber – gegen aussen nicht sichtbar – ein Stück weit behalten: Die in Genf domizilierte Reederei MSC – die grösste der Welt – gehört der aus Sorrent bei Amalfi stammenden Familie Aponte. (Foto ©Beat Stauffer)

https://www.vr-elibrary.de/doi/pdf/10.7767/boehlau.9783205793519.244