Was in Tunesien in diesen Tagen geschieht, ist sehr beunruhigend – und zudem ziemlich kafkaesk. «Eine Kakophonie von Absurditäten», sagt ein langjähriger Beobachter. Ein paar Beispiele gefällig? In sechs Tagen soll der Entwurf einer neuen Verfassung vorliegen. Niemand weiss, was darinsteht. Sie umfasse nur gut zehn Seiten, gibt der gutmütig wirkende Sadok Belaid bekannt. Der 84-Jährige emeritierte Jus-Professor ist der Koordinator der Kommission, welche das neue Grundgesetz ausarbeiten sollte. Vieles weist darauf hin, dass der Text längst geschrieben ist, womöglich vom Staatspräsidenten selber. Das letzte Wort bei der Schlussredaktion hat selbstredend… Kais Sayed. In Zukunft, so lässt sich Sadok Belaid entlocken, werde man es in Tunesien mit der Gewaltenteilung nicht mehr so ernst nehmen. Man werde sie «kreativ weiterentwickeln», denn sie sei «überholt und veraltet». So wird der Staatspräsident in Zukunft den Regierungschef ernennen – und nicht das Parlament. Und auch die Richter werden vom Präsidenten bestimmt. Montesquieu würde wohl analysieren: Die Gewaltenteilung wird ganz einfach aufgehoben.Angesehene Analysten und Beobachter sehen dies genauso. Etwa der emeritierte Professor Hamadi Redissi. Er spricht von einem «tunesischen Herbst» und schreibt, im Machtkampf zwischen Präsident Saied und dem Parlament würden nun die demokratischen Errungenschaften des Arabischen Frühlings zerstört (siehe https://www.ipg-journal.de/…/tunesischer-herbst-5982/)Gleichzeitig werden die Probleme immer grösser. Die wirtschaftliche Lage des Landes ist dramatisch, die Verschuldung enorm. Und zu alledem hat die mächtige Gewerkschaft UGTT für den 16. Juni einen Generalstreik angekündigt.