Interview mit Francesca Melandri

Zehn Jahre sind es her, dass der damalige Herrscher Muammar Ghadhafi in Rom von Berlusconi mit grossem Pomp empfangen worden ist. Libyen und Italien hatten damals einen «Freundschaftsvertrag» geschlossen, in dem es um die Abwehr von Migranten, um Erdölförderung und um eine Wiedergutmachung für koloniales Unrecht ging. – Als Leser des beeindruckenden Buchs von Francesca Melandri („Sangue Giusto“) hat mich das Interview der Italienkorrespondentin der NZZ mit dieser Autorin sehr interessiert: Ihre Einschätzung der gegenwärtigen Lage in Italien, der Migrationspolitik der Regierung Conte, und auch die Frage der konkreten Handlungsmöglichkeiten im Bereich Migration, ganz besonders in Bezug auf Libyen. – «Beim Thema Migration sind wir heute keinen Schritt weiter», sagt Melandri im Interview. Heute sei es sogar «tausendmal schlimmer». Man müsse sich schämen für die «Festung Europa». – Vieles von dem, was Melandri sagt, ist bedenkenswert. Allerdings scheinen mir ihre konkreten Vorschläge doch eher unrealistisch. «Erster Punkt: sofort alle Leute aus den libyschen Lagern herausholen. Es braucht eine Luftbrücke, noch heute Abend.» Das wäre in der Tat noch machbar. Doch dann wird es verdammt kompliziert. Mit den «Warlords» verhandeln, um eine dauerhafte Lösung zu finden: Das ist bis anhin stets gescheitert. Dazu kommt: In Libyen leben mindestens 600’000 Menschen aus Subsahara-Afrika, es gibt über 100’000 intern Vertriebene. Und schliesslich hat nun auch ein Exodus von jungen Libyern eingesetzt, die ebenfalls nach Europa flüchten wollen.

https://www.nzz.ch/international/francesca-melandri-italiens-faschismus-betrifft-rechte-und-linke-ld.1566994?reduced=true