Ein Desaster

„Es ist ein Desaster für den gesamten transatlantischen Westen“, sagt der Historiker-Heinrich August Winkler in einem Interview in der Zeitung Welt.de. „Die Irrtümer der ersten Stunde rächen sich. Die Annahme, man könne ein sehr stark vom islamistischen Fundamentalismus geprägtes Land wie Afghanistan binnen weniger Jahre in eine westliche Demokratie verwandeln, war naiv. Insbesondere das Nation Building war eine Illusion“. Im Nachhinein wäre es vernünftig gewesen, die Intervention in Afghanistan nach der militärischen Ausschaltung von al-Qaida abzuschließen, sagt Winkler weiter. Für das aktuelle Debakel seien alle westlichen Nationen verantwortlich, an erster Stelle die USA. „Es ist bestürzend zu sehen, wie die amerikanischen Geheimdienste, das Pentagon und das unter Trump ausgedünnte State Departement sich in der Analyse vertan haben. Auch Biden muss sich vorwerfen lassen, die aktuelle Situation falsch eingeschätzt zu haben“. 

Es ist in der Tat kaum nachvollziehbar, wie ein alter Politfuchs wie Biden den radikal-islamischen Taliban Afghanistan „überlassen“ hat. Massive Probleme – etwa grosse Flüchtlingsströme, vorerst wohl vor allem in die Nachbarstaaten – sind zu erwarten. Ob die Taliban nun in der Lage sein werden, das Land zu regieren und die drängendsten Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen, bleibt abzuwarten. Die Erfahrungen in anderen, von (radikalen) Islamisten regierten Ländern stimmen höchst skeptisch.

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